
Choreografien von Angelin Preljocaj, Stijn Celis und Diego Tortelli
von Johannes Birringer

Zum Schluss: Standing Ovations für Diego Tortellis „ICONIC: Pink Floyd“ – ein rauschendes Finale, das den Abend in Licht und Bewegung auflöste. Zum Beginn jedoch: ein dürftiges Programmheft, das den Begriff „Ikone“ lexikalisch zerlegt, als ließe sich so seine Aura erklären. Doch was folgt, zeigt, dass Ikonen längst keine Heiligenbilder mehr sind, sondern flüchtige Spiegel der Gegenwartspopkultur.
Den Auftakt machte Angelin Preljocajs „Noces“ (1989) – eine kluge, fast provokative Wahl. Strawinskys Tanzkantate Les Noces entfaltet von Beginn an magnetische Wucht: Männer in weißen Hemden, reglos auf Bänken; eine Tänzerin führt eine Braut mit bedeckten Augen in die Mitte – ein Ritual des Nicht-Sehens. Preljocaj verwandelt die bäuerliche Hochzeit in eine beklemmende Parabel über Geschlechterkampf und Gewalt. Die Saarbrücker Kompanie brilliert mit explosiver Energie: fünf Männer und Frauen duellieren sich, auch fünf in Brautkleider gekleidete Puppen werden hin und her geschleudert, auf den Boden geworfen, aufgehängt – eine grausame, bildstarke Metapher weiblicher Opfer.
Celis’ eigenes Werk „Alte Erde“ setzt dagegen auf Reduktion. Drei Tänzer (Marco Marangio, Flavio Quisisana, Shawn Throop) bewegen sich zu Oumou Sangarés Saa Magni in weiten weißen Kostümen, eng umschlungen, als wollten sie sich aus einem Traum schälen. Ein ockerfarbener Stoff wandelt sich von Kleid, Schal, und Seil zu Burka und Schutzmantel. Im Hintergrund gleitet Till Neus Gemälde Altes Weltbild über die Videoleinwand – ein visuelles Echo auf mythische Ursprünge. Doch Celis’ Meditation über Pathos und Vergänglichkeit verliert sich im ästhetischen Wohlklang; die Emotion bleibt verhalten, die Bilder schön, aber flüchtig.
Dann der Bruch: Tortellis „ICONIC: Pink Floyd“ katapultiert das Publikum in ein vibrierendes Spektakel aus Licht, Spiegeln und Körperarchitekturen. Zu den Songs von The Dark Side of the Moon tanzen sechzehn Ensemblemitglieder in schwarzen Kostümen mit silbernen Gürteln. Tortelli nutzt Pink Floyd nicht als Nostalgiefläche, sondern als ironischen Resonanzraum. Seine Choreografie oszilliert zwischen geometrischem Ballett, Breakdance und groteskem Ausdruckstanz, zwischen Präzision und Übermut. Da ist ein pinguinhafter Watschelgang, absurd und schön zugleich; später ein Tänzer, der sich in die Leere stürzt, Spiegelwände, die Bewegungen verdoppeln, bis der Raum selbst zu tanzen scheint.Mit unerschütterlicher Energie treiben Tortelli und sein Ensemble den Abend zu einem ekstatischen Finale zur Rockmusik. Arme öffnen sich dem Publikum, nur um sich wieder zu verschließen – ein Spiel aus Nähe, Distanz und Wiederkehr. In diesem Rhythmus pulsiert das, was der Titel verspricht: Ikonen, nicht als Bilder, sondern als Bewegungen, die sich in die Augen der Zuschauer einbrennen wie der Lichtstrahl aus dem Rückraum.
So zeigt der Abend drei kontrastierende Handschriften – von Preljocajs archaischer Wucht über Celis’ stille Spiritualität bis zu Tortellis urbaner Expressivität. Saarbrückens Ballett präsentiert sich als Ensemble von beachtlicher Bandbreite. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Die wahren Ikonen entstehen nicht im Bild, sondern im Moment, in dem Körper, Klang, Bewegung und Licht für einen Augenblick zu einem werden.
Titelbild: ICONIC : Pink Floyd, choreografiert von Diego Tortelli. Staatstheater Saarbrücken. Foto: Bettina Stöss.


